Invasive Beatmung bei Covid19
Die anfängliche Panik auch unter einem Teil der Mediziner*innen führte in vielen Krankenhäusern in vielen Ländern zu nicht evidenzbasierten und für Patient*innen riskanten bis schädlichen, sogar tödlichen, ärztlichen (iatrogenen) Massnahmen. Neben der Therapie mit hochdosiertem Hydrochloroquin, Antibiotika und Virustatika (Remdesevir) und deren wilden Kombinationen, gehörte auch die frühzeitige invasive Beatmung (Intubation) von Patient*innen zum Repertoire der Behandler*innen. Für viele hochbetagte Menschen war diese Therapie eine Belastung, die eher zu einer Verkürzung als Verlängerung des Lebens geführt hat. Inzwischen hat sich zumindest in Deutschland ein rationaler und evidenzbasierter Umgang weitgehend durchgesetzt, der auch in den neuesten Leitlinien zum Ausdruck kommt. Der anfängliche Vorzug einer invasiven Beatmung in den Empfehlungen der S1-Leitlinie (vom 12.März 2020) wurde revidiert. Somit kann mensch in Deutschland inzwischen wieder damit rechnen, im Regelfall eine optimale medizinische bzw. intensivmedizinische Versorgung zu erhalten.
Dies war leider zu Beginn der Krise auch aufgrund der fragwürdigen Leitlinienempfehlungen nicht gewährleistet.
In dieser Zeit entstand auch untenstehende persönliche Erklärung, die hier zur Dokumentation noch zu lesen ist.
Persönliche Erklärung vom 09.April 2020
Liebe Patientinnen, liebe Patienten,
liebe Kolleginnen, liebe Kollegen,
die Einschätzung von einem Teil der Virologen, dass SarsCoV2 als neuer Virus mit exponentiellem Wachstum eine besondere Gefahr darstelle, ist omnipräsent. Dabei kann sich aus
nachvollziehbaren Gründen die Wahrnehmung von Ärzt*innen und Intensivmediziner*innen verändern. Die Indikation zur
Beatmung ist schon immer kritisch zu stellen: Intubiere ich einen hochbetagten Patienten mit über 80 Jahren und mehreren schweren
Vorerkrankungen noch, oder ermögliche ich ihm ein würdevolles Sterben im Kreis seiner Angehörigen? Diese Entscheidung wird durch den Fokus auf einen Patienten, der SarsCoV2-positiv getestet wurde und
deshalb als "akut krank" bezeichnet wird, beeinflusst. In dieser Perspektive, die nicht mit wissenschaftlicher Evidenz übereinstimmen muss, ist es verständlich, dass jetzt mit Isolation und
Maximaltherapie reagiert wird. Es geht dann nur noch um eine Infektion, die überstanden werden muss, es geht um Leben oder Tod im Angesicht einer weltumspannenden Seuche. Bei vielen Betroffenen würde
in der gleichen Situation ohne Kenntnis von SarsCov-2 trotz Vorliegen von Atemproblemen möglicherweise keine Indikation zur Beatmung gestellt. In den meisten Fällen handelt es sich hier um eine
ethische Entscheidung, die eine angemessene Therapie unter Einbeziehung eines würdevollen Sterbens ermöglichen soll.
Es ist davon auszugehen, dass in hochspezialisierten Zentren bei Anwesenheit erfahrener Praktiker im Team diese Überlegungen angestellt werden. Anders
stellt sich die Situation in Krankenhäusern mit weniger Erfahrung und unter voller Auslastung evtl. sogar Überlastung der persönlichen wie personellen und technischen Kapazitäten dar.
Eine invasive mechanische Beatmung unter Narkose bzw. Sedation stellt gerade für alte Menschen mit Vorerkrankungen eine große Belastung dar und muss schon immer genau abgewogen werden. Invasive Beatmung bedeutet, dass
mittels eines Schlauchs (Tubus) direkt Sauerstoff in die Lunge gepumpt wird. Dabei wird der Tubus über den Mund oder einen Schnitt im Bereich des Kehlkopfs in der Luftröhre plaziert.
Erschreckend sind in diesem Kontext die aktuellen Leitlinienempfehlungen zu Covid-19, die eine frühzeitige invasive Beatmung nahelegen. Dies, obwohl es keine Evidenz für einen Vorteil gegenüber der Unterstützung mit Sauerstoffmasken
gibt, sondern möglicherweise sogar das Leben von Patient*innen verkürzt werden könnte. Als Grund wird in der aktuellen Leitlinie angeführt, dass die Aerosolbildung bei der schonenderen Behandlung mit
Sauerstoffmasken, die ohne Narkose bzw. Sedierung durchgeführt wird und die auch auf peripheren oder Palliativstationen angewendet werden könnte, zu höherer Infektionsgefahr für das medizinische
Personal führen kann. Wohlgemerkt bei wissenschaftlich belegter, relativer Harmlosigkeit von Sars Cov2 für junge, gesunde Erwachsene. Ob diese Empfehlung mit ethischen ärztlichen Werten in
Übereinstimmung steht, ist fraglich. Diese Überlegungen lösen bei mir eher Scham für meinen Berufsstand aus, der sich an den Fenstern von der Bevölkerung - zumindest in Italien - für seinen Heldenmut
beklatschen lässt.
Aktuelle Erfahrungen mit der durch Sars Cov2 ausgelösten Pneumonie geben Hinweise, dass die mechanische, invasive Beatmung sogar
schaden könnte. Eine ausreichende Oxigenierung scheint unter invasiver, mechanischer Beatmung bei Covid-19 schwieriger und weniger effektiv als bei anderen Pneumonien. Für eine höhere
Überlebenswahrscheinlichkeit durch invasive Beatmung bei multimorbiden, älteren Patient*innen mit Covid-19 fehlt jede Evidenz. Alternative Vorgehensweisen mit beispielsweise einer Sauerstoffmaske oder Nasenbrille (Nasale Highflow-Sauerstofftherapie)
oder nicht-invasiver Beatmung mit druckdichter Gesichtsmaske (NIV)
sollten deshalb zum derzeitigen Erkenntnisstand erste Wahl bei der Therapie sein. Die Behandlung weist einen wesentlich höheren
Patientenkomfort aus und ist leichter umzusetzen. In vielen Fällen scheint dadurch eine Stabilisierung und möglicherweise Überleben der Erkrankung eher
möglich. Diese Therapieoptionen wären zum Teil auch auf peripheren Stationen durchführbar und drohten dann nicht, die
Kapazitäten der Intensivstationen zu überlasten.
Zusammenfassung:
Schon seit längerer Zeit weisen wir auf unserer Homepage www.praxiskollektiv.de auf die Problematik der invasiven Beatmung von multimorbiden Patient*innen hin. Neue Beobachtungen speziell bei Covid-19 bestätigen die Skepsis. Für die Beratung bei Patient*innenverfügungen sind die neuesten Erkenntnise in Zusammenhang mit Covid-19 wichtig. Es wird vermutet, dass invasive Beatmung kaum zur Verbesserung des Überlebens beiträgt. Andere Formen der Unterstützung der Sauerstoffsättigung könnten der invasiven Beatmung in den meisten Fällen überlegen sein. Somit würde der Anteil an Patient*innen, die eine intensivmedizinische Versorgung mit Beatmungsgerät benötigen, deutlich niedriger ausfallen.
Dann wäre die propagierte Abflachung der Kurve, die eine Überlastung der Kapazitäten an Intensivbetten mit Beatmungsmöglichkeit vermeiden soll, von keinem Nutzen.
Nicht nur unter diesem Gesichtspunkt ist es fortdauernd notwendig, die Verhältnismäßigkeit des Lockdowns mit seinen immensen gesundheitlichen und gesellschaftlichen Folgen in Frage zu stellen und zu prüfen.
Mit solidarischen, kollegialen Grüßen
Michael Kronawitter
Berlin, 09.April 2020
Persönliche Anmerkung:
Hätte ich es noch nicht getan, würde ich jetzt schnellstens meine altersbedingt gefährdeten Eltern über die Vor- und Nachteile einer invasiven Beatmung aufklären und ihre
Entscheidung, auf diese Form der Behandlung verzichten zu wollen, akzeptieren. Würde mein multimorbider Vater dann mit einer Pneumonie im Krankenhaus liegen und positiv auf Sars Cov2 getestet, würde
ich alle Hebel in Bewegung setzen, ihn vor einer invasiven Beatmung zu schützen. Ich würde, falls sich sein Zustand verschlechtert, bei ihm bleiben wollen, ohne Handschuhe seine Hände
halten, ohne Schutzmaske ihm die Stirn küssen, so wie er es bei mir machte, als ich als Kind krank und fiebernd im Bett lag. Meine Kinder, seine Enkelkinder dürften ebenfalls ohne Schutzmasken bei
ihm sein. Davon würde ich mich nicht abhalten lassen: nicht von Kolleg*innen, nicht vom Robert-Koch-Institut, nicht vom Bundesgesundheitsministerium und nicht von der Polizei.
Seine Würde und Selbstbestimmung würde ich auch in dieser kritischen Phase achten und verteidigen. Wo sind wir eigentlich gesellschaftlich
angekommen?
Quellen:
https://www.doccheck.com/de/detail/articles/26271-covid-19-beatmung-und-dann
https://www.awmf.org/uploads/tx_szleitlinien/113-001l_S1_Intensivmedizinische-Therpie-von-Patienten-mit-Covid-19_2020-03.p
https://www.faz.net/aktuell/gesellschaft/gesundheit/coronavirus/beatmung-beim-coronavirus-lungenfacharzt-im-gespraech-16714565.html
https://www.vpneumo.de/fileadmin/pdf/VPK_Empfehlung_neu_21.03.2020.pdf
https://www.stern.de/gesundheit/coronavirus-und-kuenstliche-beatmung--wird-zu-oft-intubiert--9214804.html
https://www.statnews.com/2020/04/08/doctors-say-ventilators-overused-for-covid-19
https://www.youtube.com/watch?v=k9GYTc53r2o
https://www.tagesschau.de/investigativ/monitor/beatmung-101.html
https://www1.wdr.de/daserste/monitor/sendungen/corona-beatmung-100.html
Dr. med. Michael Kronawitter,
MPH
Facharzt für Allgemeinmedizin
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